13/10/2020 Gestern im Nebel

Kurz vor 8 Uhr. Ich fuhr mit dem Fahrrad durch den kalten Nebel, der schon Stunden zuvor als Wand vor unseren Fenstern gewabert hatte. Meine Hände wurden feucht, den Schal hatte ich vergessen. Am Universitätskrankenhaus angekommen schaute ich hoch zu der Station, auf der ich vor wenigen Wochen ein Bett gehabt habe. Während ich mein Fahrrad anschloß dankte ich mir selbst dafür, heute nur ambulanter Besucher zu sein. Ich sah die vielen Gesichter der stationären Patienten. Grüßte Einen, der kam, als ich entlassen worden war. Ich ging hinein in das große Gebäude mit der Gewissheit, gleich wieder nach Hause fahren und in meinem Bett schlafen zu können. Überhaupt wieder genug schlafen zu können.

Rückblick: Meine Niedergeschlagenheit beginnt im Nebel der Schlaflosigkeit. Es ist ein Muster. Etwas Aufwühlendes oder Beängstigendes passiert – ich fühle mich überfordert. Ich erinnere mich mit jeder Zelle meines Körpers an die Ohnmacht vergangener Episoden und bekomme Angst. Angst davor, für die Situation nicht gewappnet zu. Ich verliere den Glauben in meine Kraft, verzweifle an den Methoden, die meinen Geist beruhigen sollen. Und das hält mich wach. Es beginnt mit 2-3 Nächten wenig Schlaf. Dann denke ich bereits am Morgen darüber nach, dass ich abends unbedingt schlafen muss. Der innere Druck steigt. Es folgen 2 Nächte ohne Schlaf, dafür mit erdrückend negativen Gedanken und Selbstvorwürfen. Ich liege wie erstarrt, um meine Familie nicht zu wecken. Mit geschlossenen Augen starre ich an die Decke. Panik steigt auf. Ich höre mein Blut im Ohr rauschen, spüre einen beklemmenden Druck auf der Brust. Im Kopf ein Strom voller verschwommener Gedankenfetzen, der mich weiter in die Tiefe zieht. Weg von mir, meinem Maj-Ich.

Am nächsten Morgen rede ich mir schön, dass mein Körper sich den Mindestschlaf von 2-3 Stunden schon geholt hat. Dass ich es nur nicht bewusst mitbekommen habe. Ich bin völlig verschwitzt, war nachts vor Nervosität 3-4 Mal auf der Toilette gewesen. Und warte auf die Frage meines Mannes, ob und wieviel ich geschlafen hätte. Ich muss den Rhythmus beibehalten. Drei Mahlzeiten, nicht tagsüber schlafen. Dinge tun, statt im Bett liegen zu bleiben. Aufstehen, duschen, was essen. Ich erkenne mich selbst kaum mehr, wirke auf meine Mitmenschen befremdlich. Mit starrem, leeren Blick. Kaum Mimik. Traurigen Mundwinkeln. Die Maske der Depression. Da nutzt auch die Sommerbräune von der See nicht mehr. Die Normalität ist aus meinem Leben, aus meinem Gesicht gewichen. Und entweicht langsam aus dem Herzen. Ich spüre mich kaum noch, habe wenig Emotionen. Auch empathische Reaktionen bleiben aus. Ich lächle gezwungen, wenn andere lächeln. Ich fühle mich leer, gefangen in meiner sich drehenden Gedankenwelt. Die verzerrte Wahrnehmung meiner Umwelt und meiner selbst lässt alles bedrohlich und schwer erscheinen. Mit jedem Schritt, den ich nicht gehe, beweise ich mir selbst, wie schlecht es mir innerlich geht. Es ist paradox, doch die innere Stimme der Depression drängt mich an den Rand des Lebens. Mein Blutdruck steigt, mein Puls liegt jenseits der 100. Dauerhaft. Tags wie Nachts. Mein Körper ist derartig gestresst, dass ich beginne “herum zu tigern”. Ich gehe von einer Ecke zur anderen. Meine Hände und Nase schwitzen. Wenn ich sitze, so wippe ich in leichten Bewegungen hin und her. Ich zupfe an meinen Händen, drücke meine Unterarme, um mich zu spüren. Ich rede in Fetzen, drehe ruckartig meinen Kopf zur Seite und bringe keinen vernünftigen Satz heraus. Ich möchte schreien, raus brechen aus dieser ohnmächtigen Starre. Doch ich stammle was von – ich will das doch auch nicht, ich muss da irgendwie wieder rauskommen. Mein Mann bittet mich die Notrufnummer zu wählen. 40 Minuten später war ich mit einer halbwegs gepackten Tasche in der Aufnahme des Krankenhauses gewesen. Diagnose: schwere depressive Episode. Es sind beruhigende Medikamente, die den Krampf meiner Seele und meines Körpers lösen, so dass ich wieder sprechen und schlafen konnte. Von dort unten begann der Kampf zurück in mein Leben, in dem ich langsam wieder auf beiden Beinen stehe. Dank professioneller Hilfe und dem innersten Wunsch hier zu bleiben statt mich aufzugeben.

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