31/10/2020 Ahnen

Wir alle tragen die Geschichten unserer Ahnen in uns auf unseren Genen. Dies ist eine interessante Hypothese der Wissenschaft, der ich folgen kann. Wenn eine Disposition für Diabetes, Krebs oder Schilddrüsenerkrankungen weitergegeben wird, warum nicht auch Traumata und Depressionen? Natürlich braucht es auch hier häufig einen auslösenden Faktor.
In meiner Familie bin ich aktuell diejenige, die am stärksten betroffen ist, während die anderen gut voran gehen. Das Trauma als Auslöser meiner Depression war einfach der große Unterschied zu meinen Geschwistern.

Der Traum, mit dem ich aufwachte, war die Idee, das eigene Stück vom Familienstammbaum als Goldanhänger mit Inschriften anfertigen zu lassen. Würde die Familie zusammen kommen, ergebe sich aus allen Anhängern gelegt der lebende Teil des Familienstammbaumes. Worum geht es bei diesem Traum? Um das warme Gefühl von Verbundenheit. Im Jetzt. Um die Erinnerung vor allem an meine verstorbene Oma Louise, die mir auch heute ein Ratgeber ist. Ich frage sie einfach in Gedanken nach ihrer Meinung zu einer Situation oder Entscheidung. Ich lerne sie auch besser kennen, wenn es um den Schmerz der Trauer geht. Ihren Sohn, meinen Onkel, kenne ich nur von Fotos. Ein Portrait stand immer im Wohnzimmer auf der Anrichte. Neben dem seines Vaters. Meinem Opa, der kurz bevor meine Mutter mit mir schwanger wurde verstarb. Ich wurde geboren als Enkelin einer trauernden Mutter und Ehefrau. Als Kind einer trauernden Schwester und Tochter. Ja, ich glaube, das diese sowohl auf meinen Genen sitzt, als auch in diesem Umfeld auf mich prägend wirkte. Meine Mutter wünschte sich auch einen Sohn, meine Oma einen Enkel. Nach meiner Schwester kam 8 Jahre nach mir mein Bruder. Ein Junge, der dem verlorenen Sohn und Bruder in Kindertagen sehr ähnlich war.
Für mich bin ich auf einem guten Weg, mit der Trauer um meinen Sohn umzugehen. Meine Tochter ist mit dem Wissen um ihren Bruder aufgewachsen. Es ist uns wichtig, innerhalb der Familie kein Tabuthema zu verschweigen, das auf der Ebene der Emotionen und Energie spürbar ist. So ist sie es, die auf die Frage nach Geschwistern ganz selbstverständlich von ihrem Bruder im Himmel erzählt, der auf sie aufpasst. Als dies kürzlich beim Kennenlernen einer Familie aus der Parallelklasse im gefühlt 3. Satz passierte, beschloss ich offen darüber zu schreiben. Bisher hatte ich dies nur im geschützten Mitgliederbereich vom Verein Verwaiste Eltern und Geschwister Hamburg e.V. getan. Und so schließe ich heute mit dem Appell: redet offen über eure Tiefen, die euch bewegen. Im Kleinen und wenn die Kraft kommt auch im größeren Umfeld. Unser Umfeld hält das aus, unsere Gesellschaft darf dies lernen. Es ist unglaublich welche Offenheit von anderen zurück kommt, wenn du selbst kommunizierst. So wie meine Tochter ihren Schutzengel über sich im Himmel hat, gibt es viele andere im direkten Umfeld. In ihrer Klasse gibt es zwei andere Engel. Bei der Klassengrösse sind damit mehr als 10% der Familien selbst betroffen. In meinem Freundeskreis gibt es vier Familien, die ebenfalls ein Kind oder Zwillinge verloren. Durch mein Ehrenamt im Verein kenne ich mehr als ein Dutzend Mütter und Väter näher, die dieses Schicksal teilen. In meinem Büro sind es ebenfalls mehr als 10% der Kollegen, deren Familien ein Kind verloren haben. Es ist Teil des Lebens und Teil der Gesellschaft. Wir dürfen darüber sprechen anstatt sich mit dieser Schwere allein und isoliert fühlen zu müssen.

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