Es war ein Traum. Über die Definition von gesellschaftlich akzeptierten Normen und der Abweichung von eben diesen.
Ich lernte ein Paar kennen mit einer Tochter im Grundschulalter wie meine. Sie hätten noch eine jüngere Tochter, die in einer Art Heim lebe. Zusammen mit anderen Kindern, deren Lippen und Nasen eine Fehlbildung hätten. Diese Gruppe lebte für sich betreut von Schwestern und Ärzten. Ich war neugierig und verbrachte einen Tag mit den Kindern. Und verstand die Welt nicht mehr. Ja, ich sah deren Tochter mit etwas deutlicheren Konturen der Oberlippe und einer leicht schiefen Nase. Doch das Kind war kerngesund. Ich verstand es einfach nicht. Wir pflückten Sträuße am Wegesrand und ich wurde zur Vorsicht ermahnt. Von diesen rosa farbenen Blumen nur die Jungen. Die alten Zweige gehörten nicht mehr zur Sorte und würden zu schnell verblühen. Das brächte Unglück. Und da verstand ich die Botschaft hinter dieser Geschichte. Wer definiert denn was gepflückt werden darf? Wer bestimmt darüber, welche Abweichung vom Normalen bei der Optik von uns Menschen in der Gesellschaft akzeptiert sind? Ich spürte großen Widerstand gegen die eingeschränkte Sicht der Erwachsenen in meinem Traum und wünschte mir direkt mehr Toleranz. Wozu ein Heim für nicht perfekte Nasen? Wozu der Druck nach der Norm zu streben, um die eigene individuelle Ausstrahlung zu verlieren? Ich sagte den Eltern, dass ihre Tochter wunderschön sei und sicher Schauspielerin oder selbst Ärztin werden könnte. Ganz nach ihrem eigenen Wunsch. Gleichzeitig empfand ich eine unglaubliche Dankbarkeit dafür, selbst eine gesunde Tochter zu haben. Ich höre schon wie sie sich um 06:15 Uhr in ihrem Bett nebenan wälzt und gleich aufwachen wird. Sie wird selbst aus ihrem Hochbett hinunter steigen. Sie wird sich selbst anziehen- wenn auch langsam und wie wir am Tisch essen. Auch langsam, da sie lieber erzählt statt das Timing zu schaffen, um rechtzeitig in der Schule zu sein. Sie wird trotz der Pandemie in die Schule können, während mein Mann Zuhause und ich im Büro arbeite. Dafür bin ich dankbar. Wir haben beide unsere Jobs noch, keine Kurzarbeit und können über einen Umzug nachdenken. Ja, auch in Zeiten von Corona.
Und so starte ich erfüllt in einen neuen Tag.