20/10/2020 Was wieder geht

Welch schönes Datum heute. Und damit willkommen zurück nach einer Woche Pause. Denn es kommt so Vieles zurück. Der Rhythmus von Alltag, ein langsamer Re-Start in den Job. Das Gefühl am Montagmorgen noch ein wenig liegen bleiben zu wollen. Das Gefühl von Hunger. Warum ich mich über solche profanen Gefühle freue? Weil mein Körper weniger Medikamente bekommt und dadurch langsam zu normalen Empfindungen zurück findet. Z.B. ist mein Helfer fürs Durchschlafen um 1/4 reduziert worden. Zwar wache ich jetzt zwischen 3:30 Uhr und 4:30 Uhr auf, doch ich vertraue darauf wieder einschlafen zu können nach einer kurzen Pause ohne (ja, ohne!) Grübeln. Und so ist es bereits 6:30 Uhr und mir bleiben 10 Minuten für mein Thema Umzug.

Wir, meine Familie und ich, suchen wie 1.000 andere Menschen in unserem Viertel und Umgebung nach der 4 Zimmer, 100 qm Wohnung mit Balkon/Garten. Letzte Woche haben wir die zunächst als perfekt vorgestellte Wohnung abgesagt. Da waren sich unsere Bauchgefühle einig. Zuvor hatte ich das neue Heim manifestiert. Sogar nach einem 3-Schritte-Programm „Bewusstes Manifestieren“ von Eckhart Tolle. Was soll ich sagen, es wirkt. Wir sahen mit der ersten Besichtigung, was uns wichtig ist (großer Wohn-/Essbereich, Platz für einen Schrank in jedem Schlafraum) und was überhaupt nicht geht (Unzuverlässigkeit potentieller Vermieter). Wir haben ein Reihenendhaus am Rande der Stadt angeboten bekommen, welches wegen des langen Arbeitsweges von einer Stunde leider keine Option ist. Morgen schauen wir uns eine neuere Wohnung im Nachbarviertel an, welche gestern von außen schon interessant aussah. Und ich suche weiter nach Tauschwohnungen in Parallelstraßen. Es ist also Bewegung drin im Thema Umzug, welches mich vor wenigen Wochen derart überfordert und erneut in die Klinik befördert hatte. Ich bin mir meiner Selbstwirksamkeit wieder bewusst und sehe viele kleine Schritte zum neuen Zuhause anstatt eines unüberwindbaren riesigen Berges. Die Entscheidung fällen wir gut überlegt und ohne Zeitdruck gemeinsam als Familie. Als geübter Projektmanager war mir schon vorher in der Theorie bewusst, dass die Summer der kleine Schritte einen Meilenstein ausmachen. Doch die Depression interessiert sich einen feuchten Dreck für Deine Ratio. Sie reißt ein Thema an sich, bläht es zur Bedrohung auf und lässt Dich ohnmächtig und gelähmt auf das Unlösbare starren.

Es sind solche kleine und großen Fragen, die für depressive Menschen bzw. Menschen in depressiven Phasen unlösbar erscheinen. Der nächste Einkauf wird zum Marathon, das Aufstehen so schwer, als würde man mit einer frischen OP-Wunde danieder liegen. Planen ist ein Wirbel von Grübelgedanken, der nirgends hinführt. Auf Nachrichten von Freunden antworten per Handy braucht Kraft. Ganz so als müsste ich dafür erst eine Postkarte kaufen, die Briefmarke in einem zweiten Laden, mit Füller schreiben und vor dem Abschicken auf das Trocknen der Tinte warten.

Dies ist ein Einblick in die so gegensätzliche Bewertung von Alltagssituationen aus den zwei Perspektiven: der Depressiven und der Normalen. Wobei auch Du morgens mal denkst „ich würde gerne noch ein wenig liegen bleiben“, doch 10 Minuten später stehst Du unter der Dusche. Der von Depressionen Betroffene hockt dann für 30 Minuten auf der Bettkante und überlegt, ob er es wirklich schafft: Ins Bad, alles ausziehen, duschen und was neues anziehen. Klingt trivial? Ja, ist es. Doch das Gehirn ist so durcheinander, dass diese einfachsten Routinen nicht abrufbar sind. So als müsstest du die letzten 30% zum Fahrrad fahren bei jedem neuen Aufsteigen erst wieder lernen. Diese Barriere aus dem Kopf klebt an allen Routinen, Aufgaben und Tätigkeiten. 24 Stunden am Tag.

Wenn Du also jemandem sagst „Reiß dich mal zusammen, aufstehen und anziehen ist ja wohl nicht so schwer!“, dann denke daran, dass es aus der Perspektive deines depressiven Gegenübers sehr wohl schwierig ist.

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