13/11/2020 In Momenten der Trauer

Meine Heilpraktikerin und ich arbeiten gerade an meiner „alten Trauer“, in der ich wortwörtlich mit den Füßen drin stecke. Während der Akupunktur spürte ich den schweren Atem, so als hätte ich statt zwei Lungen einen Stein aus schwarzem Marmor in mir liegen. Bei jedem größeren Atemzug schmerzten die Nadeln im Fuß. Die Verbindung zwischen Brust und Fuß beim Thema Trauer war für mich kein theoretischer Absatz eines Lehrbuches, sondern spürbare Realität. Es war einerseits gut, das alles zu fühlen und da sein zu lassen. Andererseits wurde ich ungeduldig und wollte, dass es nun vorbei wäre und die Massage folgen würde. Dreimal lenkte ich mich bewusst zurück zur Wurzelatmung. Zu meinem Ursprung der Trauer. Zu den Szenen im Kreissaal, den wir als Familie zu dritt und doch allein neben unserem toten Winzling verließen. Kürzlich postete eine amerikanische Mutter und Frau eines bekannten Rappers diese gemeinsamen Szenen in schwarz-weiß auf Instagram. So authentisch und fast zu intim. Doch auch mutig und ungeschönt. Ich fand mich wieder. Verbunden mit diesen Momenten unseres Verlustes.

Was hilft mir in den damit verbundenen Zeiten der Trauer? Diese Frage kam gestern aus dem Redaktionsteam für den nächsten Rundbrief vom Verein Verwaiste Eltern und Geschwister Hamburg e.V.. Anfangs waren es die Sonntage am Grab. Zu sehen, dass er eine unter den vielen Kinderseelen ist. Zu spüren, wie es mir die Kehle zuschnürt. Zu fühlen, wie die Tränen etwas Erleichterung bringen.

Es sind Spaziergänge am Wasser unserer Stadt, im Wald oder im Park. Bewegung löst die innere Verkrampfung, die Trauer manchmal in mir auslöst. Wie sehr diese tiefe Starre noch heute in mir wohnt, zeigte mir die gestrige Akupunktur. Die immer wieder schmerzende Stelle im Fuß löste sich auf. Der verkrampfte Kiefer linksseitig, der mir seit 2 Monaten einen hypersensiblen Zahnhals bescherte, öffnete sich. Heute morgen sitzt mein Kiefer wieder gerade und einen halben Zentimeter tiefer im Normalzustand. Meine Atmung fließt leichter, ein- und ausatmen sind länger.

Was hilft mir noch, wenn die Wolken dunkler werden? Die Erlaubnis, auch diese traurigen Augenblicke bewusst da sein zu lassen. Es geht nicht darum Trauer wegzuschieben und durch oberflächlich Schönes zu ersetzen. Gefühle wollen gefühlt werden. Allzu oft habe ich sie in mir eingeschlossen und konserviert. Das verlängert das Leiden meistens.

Und der Blick für das Schöne hilft mir dennoch: ob in Blumen oder wärmenden Sonnenstrahlen, rauschenden Wellen oder in der Geborgenheit einer Umarmung. Doch was mir am meisten auf meinem bisherigen Weg mit der Trauer geholfen hat, waren andere Menschen, die schon ein Stück weiter gegangen sind. Meist sind es trauernde Mütter im Alter meiner Mutter, mit denen ich mich freundschaftlich verbunden fühle. Ich sagte mir immer wieder: Schau sie dir an. Sie sind auch noch da, leben weiter und haben einen Platz für Ihre Trauer gefunden. In den Momenten tiefster Depression sage ich mir immer wieder, dass auch ich diesen Weg gehen kann und solange für meine Tochter weitergehen werde, wie ich nur kann. Zuversicht und Hoffnung ersetzen auch hier nicht die Traurigkeit, doch Sie erlauben mir, auch Pfade von Licht zu sehen. Manchmal zart durch Wolken gebrochen, manchmal freudig strahlend getaucht in himmelblau.

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