10/01/2021 Angst

Dieses starke, mächtige Gefühl, das aus deinem Unterbewusstsein an die Oberfläche schnellt und die innere Chemiebombe befeuert, die dich zu allem bereit sein lässt. Es durchfährt meinen Körper in einem Ruck. Direkt ohne Umwege vom Schlaf hin zu 120-prozentiger Alarmbereitschaft.

Das ist, was Angst mit mir macht. Das ist, was heute nacht um drei Uhr passierte und sich danach noch viermal wiederholte, als ich jeweils gerade wieder eingeschlafen war. Nur beim ersten Mal gab es einen Auslöser: meine Tochter hat nebenan etwas leidend geseufzt. Wohl nur ein schlechter Traum, sie war nicht einmal wach, als ich 3 Sekunden später und bis zur Decke voller Adrenalin bei ihr war. Was dann passierte war ein Muster. Eine Wiederholung dessen, was meine Urangst um mein Kind ausgelöst hatte. Ich könnte einfach sagen, dass die Reaktion ja als Elternteil normal sei, da kann man sich auch mal erschrecken. Ich könnte sagen, dass es in Ordnung sei und sicher nicht so schnell wieder kommt. Doch komme ich von einem anderen Weg, den ich lange nicht mehr angesehen habe. Es ist der Weg raus aus einer generalisierten Angststörung.

Mit genau diesen Schrecksekunden im Schlaf und in Angst um meine neugeborene Tochter wurde es mehr und mehr deutlich. Anfangs sagte ich mir noch, dass es nur verständlich sei, hatte ich doch nach dem Tod meines Sohnes endlich ein lebendes Kind Zuhause neben mir. Doch daraus wurde eine permanente Angespanntheit, mein vegetatives Nervensystem war Tokyo und New York zusammen – Tag und Nacht voller Leben, Licht und lärmenden Gedankenkarussellen. Ach was sag ich – wie der Hamburger Dom. Es dauerte nicht lange und Panikattacke kurz vor dem Tiefschlaf gesellten sich dazu.

Und an eben diesen Weg erinnert das Aufschrecken der letzten Nacht. Ich habe mich entschieden, das es mir keine Angst machen braucht, Angst gespürt zu haben. Ich durchbreche die Verbindung zum alten Erlebten, indem ich reflektiere, analysiere und es mit der Welt, mit euch, teile.

Das ist für mich schon der halbe Weg. Und jetzt lasse ich los, gebe die Sorge darum ab, halte die Dämonen auf Abstand – und mache weiter. Ohne Angst.

08/01/2021 Heimat in 15 km

Zurück im Alltag, Tage, die sich alle gleichen. Ich bewege mich morgens ins Büro, am Nachmittag nach Hause mit dem Rad. Dann zu Fuß zum Einkaufen und anschließend spazieren im Viertel. Am liebsten mit Freunden. Auf der Karte wären die Routen entlang dieser Etappen nur durch Heranzoomen als solche zu erkennen. Der Ausflug zu den Eltern im Umland fällt aus, der am Wochenende ans Meer auch. Dabei wäre es noch möglich den Radius von 15 Kilometern zu überschreiten.

Bis zur Stadtgrenze meines Heimatortes lassen sich hundert Orte finden, die ich mit mehr als einer Begegnung verbinde. Es gibt die großen, bekannten Punkte wie die privaten beinahe versteckten Flecken. Alle machen für mich diesen Ort zur Heimat.

Naturschutzgebieten in der Stadt sind ein wahrer Schatz. Die vielen Parks und grüne Streifen am Wasser sind lieb gewonnene Orte zum Durchatmen und Verweilen. Doch was ist Heimat noch neben Orten und Geschichten? Das innere Gefühl von Stabilität und Wertschätzung für das Bekannte. Ich mag meine Lieblingskassiererin beim Supermarkt, die Freundschaftspreise beim Obstladen und den Ladenbesitzer, der mich auch drei Straßen weiter erkennt und grüßt. Es geht also auch um das Zwischenmenschliche. Und Heimat ist das Heim selbst, die eigenen vier Wände, die schützen und Geborgenheit schenken. Diesen Ort liebe ich am meisten. In einem Song heißt es sinngemäß, dass an den Wänden die Träume aller Bewohner, auch der alten, wie Tapeten kleben. Ein schönes Bild, auch bei verputzten Wänden.

Was ist Heimat noch? Essen. Regionales und Spezialitäten. Für mich ist Heimat ein unsichtbares Netz, das ich über die Orte gelegt habe. Mal dicht verwoben, mal leicht gesponnen. Verbunden in der eigenen Erfahrung, gespeichert im Herzen. Es ist ein wunderbares Gefühl dort zu leben wo die eigene Heimat liegt. Nicht selbstverständlich angesichts von Vertreibung, Krieg und Hunger auf der Welt.

Besonders bereichernd ist für mich der Austausch mit anderen und das Kennenlernen ihrer Heimat. Vieles ähnelt sich, egal woher jemand kommt. Doch anderes ist immer besonders interessant zu erfahren. Was ist Heimat für Dich?

03/01/2021 Nebelwand

Das neue Jahr liegt vor mir. Ich schaue durch eine Nebelwand und erkenne erste Umrisse, warte auf die ersten Sonnenstrahlen und spüre die Kälte auf mir. Es gibt sie, die ersten Wünsche an das Jahr 2021. Ich sehe neue Gewohnheiten aufblitzen, lasse eine Last im alten Jahr. Mache mich frei von selbst auferlegten Grenzen und staune über meinen Optimismus.

Angesichts der vielen Einschränkungen verliere ich nicht den Blick für die Möglichkeiten. Ich mache mehr von dem Kreativen, das mich erfüllt und träume von der neuen Wohnung mit Atelier. Und ja, ich würde es mit meiner Tochter teilen. Also solange sie auch Ordnung hält, versteht sich. Apropos, in den letzten Rauhnächten habe ich vermehrt in der Vergangenheit geträumt. Als sie so klein und ich so krank war. Erstaunlich welche Szenen das Unterbewusstsein gespeichert hat. Ich möchte für sie sorgen, sie beschützen und mich um sie kümmern. Und stelle fest, dass ich mich zunächst um mich selbst kümmern muss, um für andere da sein zu können. Ein kleiner Reminder also an diese alte Erkenntnis, die ich als Leitlinie mit in dieses Jahr nehme.

Mein Start ins neue Jahr

Was braucht es also neben Liebe und den Grundbedürfnissen? Hinter dem nassen Nebel sehe ich Wachstum. Persönlich, beruflich und in der Kunst. Zeit um konkrete Ziele zu definieren? Noch nicht. Es braucht noch ein wenig Zeit und das ist in Ordnung. Ziele lassen sich immer formulieren und interessieren sich nicht für ein Datum, an dem sie beschrieben worden sind. Wozu also der Druck, wenn es noch ein paar Tage braucht, bis ich im neuen Jahr angekommen bin.

Und so wird sich der Nebel langsam auflösen, Lebensbereich für Lebensbereich, bis die Klarheit eingezogen ist. Auch das ist nur eine Momentaufnahme. Manchmal wird auch wieder undurchsichtig, was vermeintlich sternenklar erschien. Es gibt wundervolle Bücher, die Menschen helfen, sich zu ordnen und ihre Ziele in Mini-steps zu wandeln und zu verfolgen. Für mich ist dies in diesem Jahr, wo das letzte so unplanbar gewesen ist, mehr Stress als Segen.

Mein oberstes Ziel 2021: in meiner Mitte zu sein und immer häufiger in Frieden mit mir sein. Denn nichts ist anstrengender als der Kampf gegen mich selbst, der Kampf gegen Unveränderbares. So übe ich mich in Sanftmut mit mir selbst, Gelassenheit mit den Umständen und Geduld mit meinen Wünschen.

01/01/2021 Welcome, world!

During my life, there have not been times of more unity than this time of a worldwide pandemic. I travelled around the globe and collected unique memories. Nowadays, I remind myself of travelling and put all these lived moments together as if they were from one place called earth. When I think about all of us sitting in this together, I have the same feeling. And for me, this is the gift of this craziness. When it comes to vaccinations, it is even more obvious.

What do we learn?

So, what else can humanity learn from this for future generations? Cooperation is a chance to proceed faster for the sake of all. Conscious travelling and catching a plane every month for short trips does not fit our vision of a responsible life style. We are breathing the same air. And with it the illness and pollution that our mankind is responsible for. With my decision to buy less and more fair and eco products, I make a difference for the life of a community and many of their families on the other side of this one world.

What else? Gratitude. It was luck that I was born in a western country. With enough of everything including education. My study costs were 40.000 € for 3 years to an international degree. More than an Indian worker will earn in his hard working lifetime. With a warm home and supermarkets around every corner, it was easy to follow the rules of a lockdown. Well, mentally it is not, but the organisation is.

The essence!

It all comes down to the one question: What do I really need in my life? And what can be reduced or gotten rid of? It is a new kind of minimalism that takes us further than our little world to a global understanding. I am convinced that we learn the hard way what our society should have learned 2 or 3 decades earlier. All the green movements and climate change voices had been there before. But the industrial way of following known patterns to increase “wealth” had driven policy and the economy to the short view path of growth.

What do you think about all these questions? What is your local and global perspective? Just comment below. Thanks for reading and thinking about my point of view.

28/12/2020 Das Unterbewusstsein

Lange ist es kein Geheimnis mehr: ganze 95% unseres Seins wird von unserem Unterbewusstsein bestimmt. Und so wundert es nicht, das die verbleibenden 5% es schwer haben mit Veränderungen. Ich begegne dieser unteren und riesenhaften Schicht meiner selbst in Tagträumen, Meditationen und in nächtlichen Träumen. In den aktuellen Rauhnächten so intensiv, dass ich die Traumfetzen aufschreibe und eine halbe Stunde brauche, um wieder klar im Jetzt zu sein. Die Inhalte sind so wirr, dass eine Deutung unmöglich erscheint. Lese ich Tage später nach, lassen sich Fetzen ordnen und Botschaften erahnen. Es ist ein endloser Schatz an Spiegel und Inspiration, den wir mit uns tragen. Geheimnisvoll wird es immer sein und manchmal gibt es eine klare Idee, eine hilfreiche Erkenntnis oder einen Hinweis auf Verdrängtes.

Was zeigt sich also, wenn wir uns selbst zuhören? Der wahre Grund für einen Lebensbereich, in dem wir unzufrieden sind. Eine Idee vom eigenen Übermorgen. Schonungslose Ehrlichkeit bei einem quälenden Warum. Nur allzu oft suchen wir nach Antworten im Außen, glauben, dass Andere uns den Weg weisen können. Doch das ist ein Irrtum. Andere können uns inspirieren und uns anleiten. Den Weg gehen wir immer selbst. Diese Erkenntnis kann erdrückend sein. Sind wir es doch, die die volle Verantwortung für unser Tun und damit unser Sein haben. Auch hier gilt, es ist ein Weg, der das große Ganze erschafft. Wichtig ist, dass wir eine Richtung erkennen und Schritt für Schritt vorangehen. Auch stehen bleiben ist legitim, wenn man vor lauter Getöse um einen herum keine Orientierung mehr hat.

Selbstwirksamkeit

Der wichtigste Punkt bei alledem ist die Entdeckung der Selbstwirksamkeit. Ich selbst bin es, die selbstbestimmt die Weichen stellt und den eigenen Weg beschreibt. Mein Heute ist die Summe meiner Entscheidungen und meiner Reaktionen auf unbeeinflussbare Fakten. Richtig gehört. Ich kann nicht alles in meiner Umwelt selbst beeinflussen, doch die Reaktion auf solche Ereignisse ist immer in meiner Verantwortung. Für mich war dies anfangs schmerzhaft. War es doch manchmal einfach die Schuld bei Anderen zu sehen. Beleidigt sein ist einfacher als inne zu halten und sich zu fragen: Wie möchte ich auf die Aktion meines Gegenübers reagieren? Und möchte ich überhaupt reagieren? Denn Reaktion ist immer Energie und zwar die eigene Energie.

An diesem Punkt wird es insofern unangenehm, als dass man sieht wie oft die eigene Reaktion das Problem befeuert und erst groß werden lässt. Um es konkreter zu machen: Ich werde verletzt und reagiere, indem ich mein Gegenüber ebenfalls verletzte. Wenig später habe ich eine vergiftete Beziehung, in die meine Energie fließt, um es noch anstrengender werden zu lassen. Was passiert, wenn ich einfach mal nicht auf eine empfundene Provokation reagiere? Klar, das kostet auch etwas Anstrengung. Doch ich verhindere einen Teufelskreis, der für beide Seiten Unglück bringt.

Die Kunst entsteht in dem Moment, in dem ich diesem Prozess bei der Entstehung zusehen kann. Denn dann bin ich handlungsfähig. Ich höre etwas oder lese etwas und spüre, wie es mich verletzt. Ich beobachte meine Gedanken. War ja klar, dass er es kritisch sieht… hätte ich mir ja denken können.. ich rede nie so über seine Ideen. Und anstatt mein Reaktionsmuster auszupacken – na warte, das zahle ich ihm heim.. glaub mal nicht, dass ich heute noch was Positives zu dir sage – atme ich tief aus. Ich räume meine Gedanken leer und mache: nichts. Nichts ist so kraftvoll wie die Verweigerung in Reaktionsmuster zu verfallen. Stattdessen frage ich mich: was triggert mich eigentlich so? Gibt es vielleicht sogar wertvolle Kritik, von der ich lernen kann? Probiert es aus und gebt mir gerne Feedback als Kommentar oder an info@suitbox.de

27/12/2020 Leere

Die innere Einkehr in dieser Zeit zwischen den Jahren. Sie führt mich in die Stille. Es gibt weniger Pflicht und wenig Kann. Da ist der Weg zu Langsamkeit und Reflexion fast natürlich. Zumal mich meine intensiven und abwägigen Träume auch noch tagsüber begleiten. Und ich habe Angst vor diesem Stillstand, der inneren Leere. Doch es gibt keine Ablenkung. Also halte ich dieses Loch in meiner Mitte aus. Halte mich aus. Und atme aus.

An diesem Punkt treffen sich nicht gelebte Wünsche, der Drang nach Veränderung und der anerkennende Geist dessen, was bereits ist. Ich suche nach mir, dem Ich von morgen, das mir eine Richtung zeigt.

Jetzt, wo das Morgen eingeschränkter denn je zu sein scheint fällt das planen schwer. Haben wir doch gerade erlebt wie alle Pläne annulliert wurden. Woran können wir uns orientieren? Der Wunsch nach Entfaltung führt mich zu Geschichten, die geschrieben werden wollen. Da ist die Vision von mir in meinem Atelier. Ein Wintergarten einer alten Villa, lichtdurchflutet und wunderschön. Der Blick raus in die Nadelbäume vor der Tür. Ich stehe auf und gehe zum Esstisch aus Holz. Das Gefühl, einen kreativen Ort für mich zu haben, ist erfüllend und von meiner aktuellen Realität so fern. Es gibt auf dem Weg zur Erfüllung dieser Vision viel zu erzählen.

Von Zielen, von neuen Wegen. Von kleinen Erfolgen, die zu einem Großen werden. Der Weg erzählt von einer Bestimmung, der ich immer mehr gefolgt bin. Es zeigt sich, dass jede Station dazu nötig gewesen ist. Das Leben, von dem ich schreibe, wurde gelebt statt nur erdacht. Dadurch wird die Authentizität geboren, die auf begrenzten Gebieten ihre LeserInnen gezielt anspricht. Das Licht in diesem Wintergarten streift Manuskripte, Buchrücken und Zeichnungen. An den Wänden finden sich meine Malereien, die in der aktuellen Wohnung nur begrenzt Platz finden.


Gerne träume ich mich in diese Zukunft, um die schöpferische Kraft zu finden, die es braucht, um diesen Weg zu erschaffen. Und während ich diese Zeilen schreibe, weiß ich, dass sie der Anfang sind von dem was folgen darf. Daher frage ich Dich: wie sieht Deine Vision von der Zukunft aus? Was ist im Jetzt bereits da, um dorthin zu gelangen?

Mit diesem letzten Absatz sprang die Webqualität dieses Textes von Grün auf Rot. Wie passend, wo doch Fragen dieser Qualität für jeden erst einmal rot sehen lassen.

26/12/2020 Die letzten Tage

Nur noch wenige Tage bis zum Neubeginn. Wenige Schritte bis das Jahr 2020 Vergangenheit ist. Was nehme ich mit, was lasse ich zurück? Ungewissheit, Einschränkungen in allen Lebensbereichen und der Wunsch nach Gestaltung bleiben. Das Unbehagen darüber darf zurück bleiben, ebenso wie die existentiellen Ängste, weil nicht hilfreich. Was kommt Neues? Eine Vision mit meiner Kreativität einen neuen Baum für meine Einkünfte zu pflanzen sowie Selbstbewusstsein, meinem Können einen Preis zu geben. Der Wunsch, meine Zeit vielfältiger und bewusster zu nutzen. Und mehr Selbstliebe, die leidet immer als erstes, wenn die Stimmung kippt.

Das Jahr wird in allen Biografien eine historische Markierung erhalten. In vielen eine deutlich schwarze Markierung, in anderen gerade einmal ein leichtes grau. So unterschiedlich sind wir betroffen. Für mich wird es das Jahr sein, in dem eine weltweite Krise zu meiner mentalen Krise wurde. Erinnerungen an die Tiefpunkte meines Lebens wurden geweckt, ganze Nächte an die Decke gestarrt und ganze Wochen allein und isoliert im Krankenhaus verbracht. Ich tauchte ein in die Tiefen meiner Seele und fand mich am Boden kauernd wieder. Lange hatte ich diesen Ort nicht gesehen und doch war es so vertraut. Ich fiel in das Netz von mich betreuenden Experten und zog mich langsam wieder heraus. Jeder Tag ein Kraftakt, jede Nacht Monopoly im Kopf. Ich traf andere, die ebenfalls nicht mehr weiter wussten und fand selten Zugang zu Ihnen. Wieder zurück im Normalen fiel auf, dass es mehr von mir gab. Nur hatten sie sich keine Hilfe geholt.

Erst im Rückblick konnte ich dankbar anerkennen, dass ich sagen konnte, was los ist, und dass ich Hilfe annehmen konnte. Je länger man es mit sich selbst ausmacht, desto schwieriger kann es werden, wieder herauszufinden. Es ist noch nicht alles gut. Doch stehe ich wieder sicher auf beiden Beinen, genieße im Jetzt und baue eine Zukunft.

25/12/2020 Wintersonne

So oft bin ich über diese Brücke gegangen. Frisch verheiratet, schwanger, trauernd, wieder schwanger. Zuversichtlich, leicht, gebrochen und schwer. Zum Sonnenaufgang, im Regen, mitten in der Nacht. Gehend, joggend, schlendernd. Und wenn immer möglich halte ich mittig auf der Brücke und schaue mit dem Lauf des Kanals unter mir zum Horizont. Das Bild, das sich mir zeigt, ist so wechselhaft wie meine Stimmung. In Momenten der Schwere blicke ich gleichzeitig in die Vergangenheit hin zu helleren Tagen an genau diesem Ort. Und weiß, dass es auch wieder anders sein wird. Wenn es ganz schwer ist, gehe ich hinunter ans Ufer, dort wo der Steg ins Wasser ragt. Ich schließe die Augen, verbinde mich mit meiner inneren Kraft und schaue den Sonnenstrahlen zu, wie sie über die Blätter tanzen, Lichtschatten zaubern und in den seichten Wellen brechen.

Wenn ich reden muss, spaziere ich mit einer Freundin hinauf bis zur Quelle und wieder zurück zu einer der vielen Sonnenbänke. Im Fotorückblick eines jeden Jahres finden sich mindestens zwei Ansichten von hier. Jeder Fahrradweg wird hierüber den lauten Straßen vorgezogen.
Dieses grüne Band am Kanal, der im weiteren Verlauf die Alster trifft, macht urbanes Leben erst richtig lebenswert. Fern vom grauen Großstadtasphalt. Da kann kein Neubaugebiet im Umkreis für meinen persönlichen Geschmack mithalten. Und so bin ich froh über dieses Stück Heimat in der Hansestadt.

19/12/2020 Reisen

Imaginäres Entdecken, in einer Zeit, in der echtes Reisen abgesagt ist. Ich erinnere mich. Erinnere mich an gelebte Momente als Reisende. Kleine Sequenzen voller Neugier, Spannung und Begeisterung. Besucher an einem Ort zu sein, bedeutet einzutauchen in eine fremde Welt und etwas mitzunehmen, an das man sich gerne erinnert. Dann braucht es nur die Vorstellung vor meinem inneren Auge und ich bin wieder dort. Sehe die fremde Skyline, das Licht in meinem Gesicht und spüre das Glück in meinem Bauch. Nie verschwindet der Grad der Zeit mehr als in solchen Momenten. Nie nähert sich der Raum der Gegenwart mehr dem Raum der Vergangenheit. Und so teile ich Fotos alter Momente, um sie neu zu erleben.

03/12/2020 Meine kleine Welt

Es ist kleiner geworden in meiner Realität, selektiert durch die Fragen „Was geht?“ und „Was ist gerade zu viel?“. So geht es vielen in dieser Vorsicht in Zeiten der Pandemie. Einerseits tut es gut, wenn sich Begegnungen auf einige wenige beschränken. Mehr Wertschätzung für den Einzelnen, Bewusstheit und Tiefe. Andererseits fehlt das Quirlige der Großstadt, wo man zufällig anderen auf Spielplätzen begegnet und sich mit mehren verabredet. Und ich vermisse die Kultur. Einen Theaterabend planen, am Wochenende eine Ausstellung besuchen und nach einem tollen Konzert die 10 Minuten mit Ohrwurm U-Bahn zu fahren. Ich vermisse es, spontan ein Café zu besuchen und neue Restaurants auszuprobieren. Alles Luxus und doch essenziell für mein Gemüt.

Was vermisst Du? Klicke auf den Beitragstitel und schreibe es mir als Kommentar! Liest sich besser als der ausländische Spam, den ich seit 3 Wochen abfange 😉

01/12/2020 Vorzimmer

Oder besser gesagt Flur. Hier sitze ich und hier saß ich schon in allen erdenklichen Verfassungen. Von stabil auf beiden Beinen wie jetzt bis zu verzweifelt und die Minuten verfolgend, bis ich endlich dran bin. Endlich geht der Raum auf, in dem ich sein kann wie ich gerade bin. Meine Psychotherapeutin kennt mich inzwischen so gut wie mein Mann, vor allem die Tiefen, die ich gern für mich behalte. Um niemanden zu beunruhigen und auch um einen Teil von mir für mich zu behalten.

25/11/2020 Enttäuschungen

Enttäuschen bedeutet wörtlich das Ende von täuschen. Die Vision, die ich von unserem neuen Zuhause aufgebaut und manifestiert hatte, ist für diese konkrete Wohnung beendet. Gedanklich hatte alles schon seinen Platz, gefühlt saß ich bereits am Esstisch im großen Wohn-/Esszimmer. Was bleibt ist das Gefühl dazu und der Blick auf das, was Priorität hat. Ein ruhiges, warmes Zuhause. Und die Frage nach mehr Platz im jetzigen Zuhause. Ich akzeptiere die Entscheidung, die nicht meine gewesen ist. Ich frage mich, wofür es gut ist. Sicher ist jetzt wieder Raum für Veränderung in anderen Lebensbereichen da. Vielleicht wartet auch eine bessere Option auf uns. Woher das Unwohlsein? Es ist die Angst vor dem Stillstand. Und schon kommt die Dankbarkeit um die Ecke und erinnert an all das Schöne, das bereits da ist. Diese Stimme erzählt von der Fülle, die mich umgibt. Und schenkt mir Frieden mit dem Nein zu den Nachmietern. Die Vision bleibt.

14/11/2020 Sein, nicht werden

Wie oft verirren wir uns in dem, was werden soll? Wie schnell übersehen wir, dass vieles, nach dem wir streben, bereits da ist oder in uns ist? Wann begreifen wir, das wir die Zukunft nie erreichen, da sie im Sein von heute liegt?
Ich stelle mir solche Fragen immer wieder gerne. Sie wecken die Dankbarkeit für alles was ist und spinnen die Vision weiter von allem, was ich in mein Leben einlade.

Vor Jahren war ich unzufrieden mit unserer Wohnsituation und meinem Job. Ich nahm ein neues Notizbuch und schrieb die Visionen für diese Bereiche auf. Wie muss es denn sein, damit ich zufrieden bin? Es waren die gesellschaftlich geschaffenen Vorbilder, die ich las. Ein Zuhause mit 120 qm und Blick ins Grün und dennoch in der Stadt (ab 700K € aktuell zu haben) und die Teilzeit-Führungsrolle mit 5K Monatseinkommen bei gleichzeitiger Balance im Familienleben. Ist klar! Also schrieb ich auf, welche Wünsche jeweils dahinter standen. Hinter diesen von Fremden gemalten Schablonen eines perfekten Lebensentwurfs. Mehr Raum zum Leben. Ausgleichende Ruhe in der Natur. Gute Verkehrsanbindung für Kunst&Kultur in der Stadt. Finanzen, die ruhig schlafen lassen und dabei einen guten Lebensstandard ermöglichen. Und nun schrieb ich auf, was ich davon alles bereits hatte. Erkenntnis: das Glück und die Zufriedenheit wächst nur bedingt mit den Quadratmetern. Und eine Vision mit 100 qm reicht auch. Den Ruheplatz kann ich mir auch in der jetzigen Wohnung gestalten. Wir können den Garten meiner Eltern genießen, die Parks vor der Tür und unseren Balkon und denen von Freunden. Ich bin in 15 Minuten in der Innenstadt statt in 40 Minuten von Außerhalb. Es gibt den Stadtpark, den Hirschpark und Alster und Elbe. Letztere ist im Sommer in Wedel wie Urlaub am Mittelmeer. Also fast.
Heute, Jahre später. Wir hoffen auf eine Tauschwohnung wenige hundert Meter entfernt. Alles darf bleiben. Die Schule, die geliebte Infrastruktur, die Jobs, die Wege zu Freunden. Nur die Garage würden wir gegen eine Tiefgarage am Haus tauschen. Mit Blick ins Grüne und in die Weite aus dem 3. Stock. Für uns hat sich in den letzten Jahren gezeigt, dass wir Zeit dank kurzer Wege mehr schätzen als Quadratmeter im Eigenheim. Also Bankheim für zwei Jahrzehnte bis es wirklich das Eigenheim ist. Eine reine Lifestyle-Entscheidung, die uns hoffentlich bald in die neuen Wände trägt. Vor meinem inneren Auge habe ich die Tauschwohnung schon eingerichtet. Ich wünsche mir eine einzige Tapete – an der Schlafzimmerdecke. Einen neuen Stuhl mit Charakter. Eine Sitzbank in der Küche. Am meisten aber freue ich mich auf das Gefühl im Neuen angekommen zu sein und mehr Luft zum Entfalten zu haben.

13/11/2020 In Momenten der Trauer

Meine Heilpraktikerin und ich arbeiten gerade an meiner „alten Trauer“, in der ich wortwörtlich mit den Füßen drin stecke. Während der Akupunktur spürte ich den schweren Atem, so als hätte ich statt zwei Lungen einen Stein aus schwarzem Marmor in mir liegen. Bei jedem größeren Atemzug schmerzten die Nadeln im Fuß. Die Verbindung zwischen Brust und Fuß beim Thema Trauer war für mich kein theoretischer Absatz eines Lehrbuches, sondern spürbare Realität. Es war einerseits gut, das alles zu fühlen und da sein zu lassen. Andererseits wurde ich ungeduldig und wollte, dass es nun vorbei wäre und die Massage folgen würde. Dreimal lenkte ich mich bewusst zurück zur Wurzelatmung. Zu meinem Ursprung der Trauer. Zu den Szenen im Kreissaal, den wir als Familie zu dritt und doch allein neben unserem toten Winzling verließen. Kürzlich postete eine amerikanische Mutter und Frau eines bekannten Rappers diese gemeinsamen Szenen in schwarz-weiß auf Instagram. So authentisch und fast zu intim. Doch auch mutig und ungeschönt. Ich fand mich wieder. Verbunden mit diesen Momenten unseres Verlustes.

Was hilft mir in den damit verbundenen Zeiten der Trauer? Diese Frage kam gestern aus dem Redaktionsteam für den nächsten Rundbrief vom Verein Verwaiste Eltern und Geschwister Hamburg e.V.. Anfangs waren es die Sonntage am Grab. Zu sehen, dass er eine unter den vielen Kinderseelen ist. Zu spüren, wie es mir die Kehle zuschnürt. Zu fühlen, wie die Tränen etwas Erleichterung bringen.

Es sind Spaziergänge am Wasser unserer Stadt, im Wald oder im Park. Bewegung löst die innere Verkrampfung, die Trauer manchmal in mir auslöst. Wie sehr diese tiefe Starre noch heute in mir wohnt, zeigte mir die gestrige Akupunktur. Die immer wieder schmerzende Stelle im Fuß löste sich auf. Der verkrampfte Kiefer linksseitig, der mir seit 2 Monaten einen hypersensiblen Zahnhals bescherte, öffnete sich. Heute morgen sitzt mein Kiefer wieder gerade und einen halben Zentimeter tiefer im Normalzustand. Meine Atmung fließt leichter, ein- und ausatmen sind länger.

Was hilft mir noch, wenn die Wolken dunkler werden? Die Erlaubnis, auch diese traurigen Augenblicke bewusst da sein zu lassen. Es geht nicht darum Trauer wegzuschieben und durch oberflächlich Schönes zu ersetzen. Gefühle wollen gefühlt werden. Allzu oft habe ich sie in mir eingeschlossen und konserviert. Das verlängert das Leiden meistens.

Und der Blick für das Schöne hilft mir dennoch: ob in Blumen oder wärmenden Sonnenstrahlen, rauschenden Wellen oder in der Geborgenheit einer Umarmung. Doch was mir am meisten auf meinem bisherigen Weg mit der Trauer geholfen hat, waren andere Menschen, die schon ein Stück weiter gegangen sind. Meist sind es trauernde Mütter im Alter meiner Mutter, mit denen ich mich freundschaftlich verbunden fühle. Ich sagte mir immer wieder: Schau sie dir an. Sie sind auch noch da, leben weiter und haben einen Platz für Ihre Trauer gefunden. In den Momenten tiefster Depression sage ich mir immer wieder, dass auch ich diesen Weg gehen kann und solange für meine Tochter weitergehen werde, wie ich nur kann. Zuversicht und Hoffnung ersetzen auch hier nicht die Traurigkeit, doch Sie erlauben mir, auch Pfade von Licht zu sehen. Manchmal zart durch Wolken gebrochen, manchmal freudig strahlend getaucht in himmelblau.

06/11/2020 Trennung als Chance

Gerade bin ich sehr damit beschäftigt, meinen Alltag als Summe gewohnter Routinen mit aufhellenden Überraschungen wieder zu gewinnen. Im Job ebenso wie bei den Nachmittagen mit Kind, Verabredungen und Einkäufen. Was für die meisten Normalität ist braucht bei mir noch viel Planung. Das klappt so gut, dass ich mir wieder bewusst Pausen und Highlights einbauen muss, um mich nicht in Geschäftigkeit zu verlieren. Das Lesen kommt zu kurz, das Schreiben läuft gut. Abgesehen vom geplanten Songtext.
Warum schreibe ich so ausführlich über den Status Quo? Weil mich kaum jemand fragt. Von außen sieht es wieder fast normal aus. Ich arbeite zu 60%, backe Kuchen, führe Smalltalks und tiefere Gespräche bei Verabredungen. Ich habe jeden Tag ein neues Outfit an und bin an 4 von 5 Tagen geschminkt. Ich mache Pläne 2-3 Wochen in die Zukunft, gehe zu Arztterminen und fahre auch mal eine Stunde mit dem Mountainbike für einen Termin durch Hamburg. Mit Gelassenheit reagiere ich auf Terminabsagen oder -verschiebungen. Ich bin wieder in meinem Leben angekommen und kann es bewusst gestalten. Dies steht im krassen Gegensatz zu meiner Hilflosigkeit vor 2 Monaten. 8 Wochen, in denen viel passiert ist. Ich bin zurück in die Fülle gekommen, die mich umgibt. Und ich habe mich von Beziehungen getrennt. Innerhalb der Familie und im Freundeskreis habe ich Menschen verabschiedet, die mir nicht gut tun oder mir nichts Gutes tun wollen oder können, weil sie sich um sich selbst drehen. Zunächst habe ich die Trennung als Abschied und kleinen Verlust wahrgenommen. Doch für die, die gehen durften, kamen neue Menschen, die da sein möchten. Es gab auch Beziehungen, die durch Offenheit zu meinen Themen Trauer und Depression viel tiefer und weiter geworden sind. Ich empfinde daher trotz kleiner Trennungen keinen Verlust, sondern einen Gewinn an Begegnungen mit anderen. Es ist wieder Platz für Neues und Leichtigkeit im Umgang miteinander. Darüber hinaus ist es auch ein Stück weit normal, dass sich Wegbegleiter ändern, da wir selbst uns auf dem Lebensweg verändern.